An die Arbeit

Mit etwas mehr Mumm hätten Crampas und Effi eine schöne Beziehung führen können

November 2018: Wir nähern uns dem Thema. Effi Briest finden wir sympathisch. Sie ist lustig, hat Freundinnen und erscheint lebensfroh. Aber sie möchte es ihren Eltern recht machen. Dabei hat sie noch nicht das Selbstbewusstsein, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Da sieht man deutlich, dass es wichtig ist, dass sich die Eltern bei der Partner*innenwahl ihrer Kinder raushalten. Heute wäre Effi bestimmt erstmal mit ihrem Cousin zusammen gewesen. Das ist zwar auch irgendwie komisch, doch wäre es nur eine Phase geblieben. Und die Eltern hätten es locker aushalten können.

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„Innstetten ist gemein. Er findet die Magd Johanna interessanter als seine Frau. Wir glauben, dass er seine Frau nicht liebt. Die Hochzeitsnacht ist für sie echt schlimm. Er braucht sie nur, um bei Hofe mit ihr angeben zu können. Die Briefe, die er ihrer Mutter schreibt, sind gefühlvoller, als er Effi behandelt.“

 

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„Vater Briest: Man merkt, dass er seine Tochter mag. Als die Situation noch nicht so schlimm ist, hält er aber zu seiner Frau. Das ist schlecht für Effi. Später holt er sie nach Hause, dann kümmert er sich. Wenn er Effi den Rücken gestärkt hätte, wäre die Geschichte besser ausgegangen. Leider ist er zu schwach gegenüben seiner Frau.“

 

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„Crampas; Effi scheint ihn zu lieben. Sie riskiert alles für ihn. Er liebt sie vielleicht, aber er nutzt sie aus. Seine Ehe und seine Kinder sind ihm anscheinend nicht so wichtig. Und dann stellt er sich noch nach Jahren einem sinnlosen Duell und es wirkt so, als ob er sich erschießen lässt. Fazit: Mit etwas mehr Mumm hätte er mit ihr eine schöne Beziehung führen können.“

 

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„Der Apotheker – ist einfach nett. Er ist guter Mensch und ein Freund für Effi. Er sieht sie leiden und möchte sie stärken. Er organisiert Aktivitäten, damit es den Menschen gut geht. Das Theaterspielen soll allen helfen, etwas zu gestalten, und sich über die eigenen Themen bewusst zu werden.
Für heutige Verhältnisse klingt das trivial. Damals aber war das bestimmt etwas Neues und Bahnbrechendes. Leider stiftet der Apotheker mit seinem Engagement Unheil, weil Campras und Effi über dieses Theaterspiel zusammenfinden. Schade, dass sie ihre Liebe nicht ausleben dürfen.“

Das Original

Effi, die echte

Inspiriert von einer wahren Geschichte, entstand der Roman „Effi Briest“ in den Jahren 1889 bis 1893. Persönlich kannte der 70-jährige Theodor Fontane die realen Vorbilder seiner Titelheldin, ihres karriereorientierten, 20 Jahre älteren Gatten und ihres midlifekrisegeschüttelten Geliebten nicht. Er hatte Zeitungen studiert aber auch den Zeitgeist „gelesen“, beziehungsweise ihn den Berliner Stadtgesprächen abgelauscht. Die Denkweise der Hauptstadt verlangte, dass sich was änderte. Das fand der Autor gut, aus eigener Erfahrung seiner sieben Lebensjahrzehnte aber auch einigermaßen utopisch.

Fontane mag erkannt haben, wie dynamisch und idealistisch junge Menschen sind. Aber er war zu alt, um die Möglichkeit des Scheiterns für seine Effi auszuschließen.

Quelle des späteren Bestsellers waren eine Zeitungsmeldung vom 29. November 1886 und das Gespräch darüber, das Fontane mit der Frau des Verlegers führte. Bei einem Duell in der Berliner Hasenheide war ein Mann erschossen worden. Am hellichten Tag, mitten in der Stadt. Ein Jahrhundert später beliebter City-Park an der Grenze der Bezirke Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof, gehörte die Hasenheide damals noch zu Berlins Umland, dem Teltow. Dort trafen die Kontrahenten zusammen, um, statt zu raufen, standesgemäß aufeinander zu zielen. Der Herausforderer: Armand von Ardenne, 38 Jahre alt, Militär. Der Herausgeforderte: Emil Ferdinand Hartwich, 43 Jahre alt, Jurist.

Beiden ging es um eine Frau. Dieselbe, unschwer zu deuten. Else.

Elisabeth, 19 Jahre alt, kurz vor ihrer Hochzeit 1873.

Elisabeth von Ardenne, 33 Jahre alt, war Vorbild für Fontanes Effi Briest. Eine taffe Frau, schön, liberal denkend, von ihrer Mutter erzogen, nachdem der Vater früh gestorben war. Im Roman darf er am Leben bleiben und Anteil nehmen am Schicksal der Tochter. Aufgewachsen in Sachsen-Anhalt als jüngstes von fünf Geschwistern, genoss Elisabeth die Jugend, liebte Tanzen und und war gesellschaftlichen Veranstaltungen enorm zugeneigt. Ein Mädchen, das sich seines Standes bewusst war, aber den Charakter eines Menschen eindeutig über die Rolle stellte, die es spielen sollte.

Genau so denkt Effi. Doch ist ihr Else einen Schritt voraus. Anders als ihr literarisches Alter ego hat sie bei der Wahl des Ehemannes Mitspracherecht. Der Auserwählte ist kein titeldekorierter Alt-Adliger, sondern ein ehrgeiziger junger Militär mit belgischen Vorfahren, dessen – bürgerliche – Familie in Leipzig die Haltung vertritt: Aufstieg durch Leistung. Vater von Ardenne ist Großaktionär bei der Eisenbahn. Das verbindet ihn mit dem Rheinländer Emil Hermann Hartwich, zuständig für das Bahnwesen im Handelsministerium und Vater von Emil Ferdinand Hartwich, Elses Geliebtem in spe.

Armand von Ardenne reibt sich auf, um seine Karriere voranzutreiben, stolpert immer wieder über die Erwartungen an seine Rolle, kann aber nicht aus seiner Haut. Er will Leistung bringen, nur ist das ihm vorgegebene Tempo zu heftig. Elisabeth läuft nebenher, behält ihren eigenen Kopf und steht stabil genug, angesichts des berufsfokussierten Mannes nicht depressiv zu werden. Das schafft sie viel besser als Effi, wird allerdings auch nicht in eine Enklave an der Ostsee verfrachtet, sondern vom abwechslungsreichen Berlin nach Düsseldorf, dann wieder nach Berlin. In Düsseldorf begegnet sie 1879 dem zehn Jahre älteren Hartwich, einem profilierten Strafrechtler, der, anders als Armand, seine Work-Life-Balance im Griff hat und neben seinem Richteramt malt, rudert, Cello spielt und den Turnverein Düsseldorf gründet. Hervorhebenswert: Seine romantische Ader. Er porträtiert Else. And the rest is history.

Nicht zuletzt hat Emil einen tollen Draht zu Elses Sohn Egmont von Ardenne, dem Vater des späteren Physik-Nobelpreisträgers Manfred von Ardenne. Umgekehrt kumpelt sie mit Emils Söhnen. Patchwork, als es den Begriff dafür noch nicht gab.

Nachdem die von Ardennes nach Berlin zurückgegangen sind, schreiben sich Emil und Else leidenschaftlich Briefe. Beide wollen sich scheiden lassen, um miteinander glücklich zu werden. Ehe es dazu kommt, knackt Armand das Schloss am Schreibtisch seiner Frau und beschlagnahmt die Briefe. Heutzutage ein Unding, damals ein Kavaliersdelikt. Geschieden wird trotzdem und der betrogene Ehemann verhält sich ähnlich verletzt-bockig wie von Geert von Innstetten, doch Else die Kinder zu entfremden, schafft er nicht. Theodor Fontane mutet seiner Titelfigur da ein härteres Los zu. Effi Briest scheidet mit nur 29 Jahren aus dem Leben, Elisabeth von Ardenne stirbt, 99-jährig, am 6. Februar 1952.